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Ich bin Schriftstellerin

«Ich bin Schriftstellerin!» Bis zu diesem Satz ist es lange gegangen. Manchmal ein schüchterndes Fragezeichen: Vielleicht eine Art Lyrikerin? Aber meistens als Hobby, neben Spazierengehen und „Mölele“, ganz schüch am Ende, noch kurz nebenbei erwähnt, dass ich schreibe. Und das obwohl erste erhaltene Texte  bereits aus der Zeit stammen, als ich erst 12 Jahre alt war.

Bisweilen flogen sie mir zu, die Wörter, bisweilen brauchte es sie einzufangen…
Die Fassung ob Gefühlen nicht zu verlieren, sondern sie hineinzubringen…
Schrift setzen und stellen, im Auf und Ab…
Flüsterte jemand ein oder ein „Mehr“ aus mir heraus oder war das wirklich ich selbst, aus der auf dem Papier entstand? Ich wusste es lange nicht und da es leicht war, da ich das Schreiben nicht als Arbeit definierte, durfte es ja auch keinen Stellen-Wert haben – zumindest nicht als Beruf/ Berufung oder als etwas, was frau besonders gut könnte. Und «Berufung»? Als katholische Theologin war ich es mir eh gewohnt diesbezüglich keine Ansprüche stellen zu dürfen.

Letztendlich war da das gleiche Gefühl wie beim Sex. Nach meiner Biologielehrerin in der 2. Sekundarschule schien es einwandfrei biologisch erwiesen: Männer hätten, so meinte sie ernst, mehr, Frauen weniger Lust. Und so studierte ich sehr schnell, was an meinem Hormonhaushalt nicht in Ordnung war. Ich müsse wohl mit mehr männlichen Trieben ausgestattet worden sein, so sinnierte ich. Und kam dann zu dem genau gleichen Schluss als meine Mutter mir zwei Sammelbände „Deutsche Gedichte“ schenkte und sich so wenig Frauen darin finden liessen, dass es mir wortwörtlich ins Aug stach vor lauter Suchen. Und diese Suche dann eben nur einen einzigen Schluss zuliess: Silvia, Du bist ein Mann oder hast zu viele männliche Hormone. Oder Du bist eine Einbildung oder eine nicht normale Frau oder ein Nichts…

So wäre es also fast ein Hobby geblieben. Lediglich ausgelebt in der alljährlichen Weihnachtskarte, dem Predigtdienst in der katholischen Kirche und liturgischen Texten für etwas, das ich eigentlich selbst nicht zu feiern würdig erachtet worden war (hier wohlgemerkt wegen zu vieler weiblicher Hormone). Ab und an auch in ein paar privaten Lesungen und der unbestimmten Sehnsucht nach Bühne.

Doch dann kam 50 und damit das Bewusstsein, dass ich wenigstens ab diesem Zeitpunkt doch etwas mehr als Frau bin, als nur ein Notnagel. Etwas Ernst-zunehmendes mit gewonnener Reife. Ein Timeout und ein neues Wollen, drei Buchprojekte, eine Gründung von SinnBewegt… Die Begegnung mit der Künstlerin Christina Thäler und ihren Urmüttern und die vielen unzähligen Zetteli, die in meiner eigenen Schublade warteten.

Einmal geöffnet, liess sich die Schublade nicht mehr schliessen…

Denn tatsächlich: ICH BIN SCHRIFTSTELLERIN.
Und das hat mit Hormonen gar nichts zu tun! Sondern mit Können!

12. Mai 2022

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